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Schüler-Feedback

Es hat immer engagierte Lehrer gegeben, die sich beispielsweise am Schuljahresende von ihren Schülern Zeugnisse ausstellen ließen und die von Zeit zu Zeit mit ihren Schülern über die Inhalte und Formen ihres Unterrichts gesprochen haben. Dies galt aber nur für eine Minderheit der Lehrer. Die große Mehrheit beansprucht das „Beurteilungsmonopol” für sich und lehnt es ab, Schülern die Möglichkeit zu geben, sich zum Unterricht zu äußern, vor allem, weil sie dadurch ihre Autorität im Klassenraum in Frage gestellt sehen. Begründet wird diese Haltung mit Rationalisierungen, mit denen es auch andere Berufsgruppen seit eh und je abgelehnt haben, die Qualität ihrer Arbeit von ihren „Kunden”, die ja „Laien” seien, beurteilen zu lassen, und damit de facto ihre eigene Unfehlbarkeit postulierten.

An erster Stelle seien hier Ärzte und die Mitarbeiter öffentlicher Verwaltungen genannt. Eine „kundenorientierte” Haltung ist aber längst nicht mehr bloß auf den Bereich der klassischen (kommerziellen) Verkäufer-Kunden-Beziehungen beschränkt, sondern wird heute zunehmend als Bestandteil der Professionalität auch in Berufen erwartet, in denen Menschen miteinander zu tun haben, ohne dass es dabei um Verkaufen im klassischen Sinn geht. Lehrer sind nach diesem Berufsverständnis eben auch Dienstleister, die für die Qualität ihrer Dienstleistung verantwortlich sind und diese regelmäßig auch von den „Abnehmern” beurteilen lassen müssen. Dass diese Haltung zukünftig nicht mehr in das Belieben des einzelnen Lehrers gelegt wird, zeigen aktuelle Bildungspläne.

 

Es geht vor allem darum geht, durch differenzierte Rückmeldung zur eigenen Lehrtätigkeit auch eine höhere Berufszufriedenheit zu erzeugen und zugleich die Schüler zu befähigen, ihr eigenes Lernen und ihre Kooperation zu reflektieren. Ernsthaftes, ehrliches und differenziertes Feedback, aus dem auch Konsequenzen gezogen werden, trägt zur Verbesserung der Unterrichtsqualität bei. Wer seine Schüler nach der Qualität des Unterrichts und nach Verbesserungsmöglichkeiten befragt, tut damit einen wichtigen Schritt zu einer größeren Zufriedenheit bei allen Beteiligten, erzeugt mehr Motivation, eine höhere Verantwortung und bessere Leistungen. Allein die Tatsache, gefragt und sehr ernst genommen zu werden, ist ein Signal, das die Schüler hoch schätzen und honorieren. Die Angst mancher Lehrer, im Feedback „in die Pfanne gehauen” zu werden, ist deshalb zumeist auch unbegründet. 

 

Natürlich geht es nicht nur um Rückmeldungen der Schüler an den Lehrer. Um die angestrebte Verbesserung der Unterrichtsqualität zu erreichen, ist es genauso wichtig, dass Schüler lernen, sich gegenseitig konstruktives Feedback zu geben, und der Lehrer seinerseits andere Formen findet und nutzt als ausschließlich Noten oder Standpauken.

 

Um vom regelmäßigen Feedback im Unterricht in diesem Sinn profitieren zu können, braucht es allerdings einige Voraussetzungen. 

 

Feedback-Kultur als Frage der Haltung 

 

In der traditionellen Schule heißt Feedback: Der Lehrer teilt den Schülern mit, was sie richtig gemacht haben (zumeist über Noten) und – in der Regel wesentlich häufiger – was sie schlecht oder falsch gemacht haben. Eine Feedback-Kultur zu entwickeln bedeutet: Alle am Unterrichtsgeschehen Beteiligten sagen sich regelmäßig gegenseitig, was notwendig ist, damit alle sich im Klassenraum möglichst wohl fühlen und möglichst gut lernen können, was bislang gelungen und ermutigend ist und woran die Einzelnen, die Gruppe und die Lehrkraft weiterarbeiten möchten.

 

Regelmäßiges gegenseitiges Feedback als Bestandteil jeden Unterrichts

 

Eine Feedback-Kultur zu entwickeln bedeutet zunächst, Feedback zu entzaubern und so selbstverständlich zu praktizieren wie (vielleicht) das Vokabelabfragen zu Beginn der Stunde. Damit sich diese Selbstverständlichkeit durchsetzen kann, müssen alle Beteiligten den Sinn und den Nutzen regelmäßigen Feedbacks verstehen und akzeptieren: Es geht nicht darum, „Zeit zu schinden”, um sich weniger mit irgendeinem langweiligen Stoff beschäftigen zu müssen oder dem Risiko ausgesetzt zu sein dranzukommen und nichts zu wissen. Jeder muss wissen, akzeptieren und vor allem spüren: Es geht um Verbesserungen im Unterricht – atmosphärisch, von der Sache und vom eigenen Engagement her. Und es geht darum, dass sich jeder Einzelne in der Klasse wohl fühlt und gut mit den anderen zusammen lernen kann. 

 

Feedback muss Konsequenzen haben. Nur wer bei sich, in der Gruppe und im Unterricht erlebt, dass die Ergebnisse von Feedback spürbare Veränderungen bewirken, wird diese Methode mit immer größerer Souveränität und Effektivität nutzen.

 

Gelungenes wahrnehmen und äußern

 

Eine differenzierte Rückmeldung zu Erfolgen, positivem Verhalten, Kompetenzen und Stärken ist eher selten. Schüler haben für die Fähigkeit, positives Feedback zu geben, nur selten gute Modelle in Person ihrer Lehrer. Nicht zuletzt deshalb ist die Kompetenz auch bei Schülern deutlich unterentwickelt. Im Gegenteil: Jemanden zu loben, ihm Anerkennung zu zollen, bloß etwas Nettes zu sagen, ist verpönt und wird als „Strebertum” oder „Anschleimen” gebrandmarkt. Gleichzeitig weiß jeder Mensch aus eigener Erfahrung und jeder Pädagoge zumindest aus der Theorie, dass es gerade im Bereich des Verhaltens kaum einen besseren Weg gibt als das Lernen am Erfolg. Jeder weiß, wie gut ein ehrliches, möglichst differenziertes Lob tut, das mehr ist als ein mühsam abgekniffenes „Okay!” oder vielleicht sogar „Klasse!”.

 

Der erste Schritt auf dem schwierigen Weg zu einer konstruktiven Feedback-Kultur heißt deshalb: Alle Beteiligten – Lehrer wie Schüler – müssen regelrecht trainieren, Erfolge, Gelungenes, Stärken und Kompetenzen differenziert wahrzunehmen und zu äußern. Wie schwer das bereits in Bezug auf die eigene Person ist, merken Referendare, wenn sie in der Nachbesprechung von Hospitationsstunden aufgefordert werden, ihren Fokus zunächst ausschließlich auf Gelungenes zu richten. Fast noch schwieriger – und nicht weniger „peinlich” – ist es, jemand anderem ohne Umschweife zu sagen: Ich finde, das hast du richtig gut gemacht. Vielen ist gar nicht bewusst, welche Kompetenzen sie bereits so selbstverständlich nutzen, dass sie sich gar nicht mehr gezielt dafür anstrengen müssen. Deshalb geraten diese fast in Vergessenheit und wären doch wichtige Hilfsmittel, würden sie für die Bewältigung schwieriger Situationen nutzbar gemacht. Durch die schriftlich oder mündlich geäußerte Wahrnehmung Dritter tritt die Besonderheit in den Vordergrund und wird umso bedeutsamer, weil andere sie öffentlich registrierten und begründet für gut befanden.

 

Kritik konstruktiv äußern

 

Wer den Fokus der Rückmeldung zunächst auf Erfolge richtet, dies ehrlich und differenziert tut und sich dafür Zeit nimmt, schafft die wichtigste Voraussetzung, kritische Äußerungen überhaupt anhören und ernst nehmen zu können. Das Feedback zu Gelungenem büßt an Kraft und Glaubwürdigkeit ein, wenn es nur das „aber ” notdürftig verbirgt: Die meisten Menschen haben ein feines Gespür dafür, ob ein Lob ehrlich ist oder nur als probates Mittel eingesetzt wird, um die Kritik anschließend umso gnadenloser anzubringen. Aber manche Schüler, Lehrer und Referendare haben auch verlernt, ein ehrliches positives Feedback genau zu hören und anzunehmen. Sie lauern förmlich auf die versteckte Ohrfeige, die spätestens im nächsten Satz ganz sicher kommen wird, und ihr Ohr für Kritik ist um ein Vielfaches schärfer (und natürlich auch empfindlicher) als das für Anerkennung und Lob.

 

Kritik konstruktiv äußern heißt: weniger kritisieren und stattdessen Möglichkeiten, Perspektiven für Veränderungen oder Verbesserungen als Vorschlag oder Idee formulieren. Dieser Weg ist – ähnlich wie das positive Feedback – kaum bekannt und verbreitet. Kritik in der Schule wird in der Regel fast ausschließlich negativ und häufig destruktiv geäußert („Fünf!” „Du hast...!” „Das ist schlecht!”). Und meistens wird gehört (und manchmal auch gesagt): „Du bist schlecht!” Deshalb haben viele Lehrer auch Angst vor dem Feedback ihrer Schüler, weil sie eben diese Art der Kritik, die die Schüler zumeist ausschließlich kennen, fürchten. 

 

Alles andere als selbstverständlich ist es, konstruktive Kritik als Verbesserungsvorschlag zu formulieren. Denn damit mache ich deutlich, dass ich als Kritisierender nicht „die Weisheit mit Löffeln gefressen” habe, sondern eine Idee habe, mit der sich der andere auseinandersetzen, die er natürlich aber auch verwerfen kann.

 

Die Grundlage einer Feedback-Kultur im Klassenraum besteht deshalb darin, zunächst Gelungenes konkret zu benennen und anschließend Verbesserungsvorschläge, Tipps oder Wünsche für sich, den Nachbar, der Klasse oder den Lehrer und auch hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung zu formulieren. Durch diese universell gültige Regel entwickelt sich bei den Beteiligten mit der Zeit von selbst eine andere Haltung und Mentalität: eine neue, eine konstruktive Feedback-Kultur. 

 

Feedback braucht ein Klima gegenseitigen Vertrauens

 

Wenn das Verhalten von Menschen thematisiert wird, dann geht es ums „Eingemachte”. Deshalb braucht Feedback ein Klima gegenseitigen Vertrauens. Das ist im Klassenraum – auch wenn man sich manchmal schon lange kennt – alles andere als selbstverständlich. Vertrauen heißt nicht: „Wir haben uns alle lieb.” Vertrauen heißt: Jeder hat das Recht darauf, ernst genommen und angehört zu werden, hat das Recht auf Respekt. Und umgekehrt bedeutet es die Verpflichtung, die anderen ernst zu nehmen, anzuhören und zu respektieren. Und das gilt für Lehrer und Schüler gleichermaßen, ist jedoch keineswegs selbstverständlich. In mehreren Kapiteln dieses Buches haben wir uns mit der konstruktiven Atmosphäre im Klassenraum beschäftigt und Vorschläge gemacht, wie diese zu erreichen ist. Die Grundlage des Vertrauens im Klassenraum heißt: Kontakt herstellen, viel voneinander wissen, sich möglichst gut zu kennen, sich für einander zu interessieren. 

 

Feedback zu geben fällt oft im geschützten Raum einer vertrauten Gruppe leichter als im Plenum. Gerade wenn man am Anfang steht, eine Feedback-Kultur zu entwickeln, ist es oft hilfreich, die ersten Schritte im kleinen, eher vertrauten Kreis zu tun. In der Gruppe ist es beispielsweise auch möglich, intern ein „Punktekonto” zu verteilen: Die Schüler einer Gruppe einigen sich, wer wie viele der (beispielsweise) 100 zu verteilenden Punkte erhält, etwa für dessen Anteil am Gesamtergebnis oder dessen Beitrag zu einer konstruktiven Arbeitsatmosphäre. 

 

Zu Anfang fällt es manchen schwer, ein persönliches Feedback verbal zu geben. Der schriftliche Weg umgeht diese Schwierigkeit. Deshalb ist es eine gute Möglichkeit, anderen einen Brief zu schreiben. Ein solcher Brief kann auf standardisierte Formulierungen zurückgreifen, z. B.: „Mir gefällt an dir ...”, „du kannst gut ”, „ich finde gut, dass du ...”, „ich mag nicht ... – vielleicht könntest du ...” Anderen solch konstruktives Feedback geben zu können setzt voraus, auch mit sich selbst in dieser Weise konstruktiv umzugehen. „Was steckt in mir“ Was kann ich gut? Worauf bin ich stolz?“ Assoziationen zu den Buchstaben des eigenen Vor- und Nachnamens könnten aufgegriffen und gefüllt werden. Anregend ist es auch, sich gegenseitig Komplimente zu machen – angefangen mit den Sitznachbarn, an der Tischgruppe. Dieses ungewohnte Verfahren weitet den eigenen Blick und baut Hemmungen ab, anderen etwas Positives zu spiegeln, und von deren etwas zu hören, was offenbar gefällt. 

Dies stimmt ein und gibt Impulse für eine weitere Methode zur positiven Selbstwahrnehmung – nämlich einen Brief an sich selbst zu schreiben – gewissermaßen als beste Freundin oder bester Freund, Personen also, die einen wirklich gut kennen und schätzen. Der Lehrer kann diese verschlossenen, adressierten und frankierten Briefe einsammeln und zu einem gewünschten Zeitpunkt in den Briefkasten stecken. Es ist für Schüler ein Erlebnis, einen Brief zu erhalten, den sie an sich selbst geschrieben haben, und darin später – vielleicht nach einem halben Jahr – zu lesen, wie sie ihre Stärken, Erfolge, Kompetenzen und ihre Ziele beschrieben haben, um den Ist-Zustand damit zu vergleichen.

 

Schüler, die sich mit dem Schreiben schwer tun, möchten anderen nicht unbedingt einen Brief schreiben. Eine pragmatische Lösung besteht darin, statt („umständlich”) zu Papier und Stift zu greifen, eine E-Mail oder gar eine SMS zu schicken. E-Mails bestechen durch den dort gepflegten unkomplizierten Stil; sie wirken lockerer, stellen für den Schreiber eine deutlich geringere Hemmschwelle dar als ein Brief, dem das Odium des Formalen und (zu) Verbindlichen anhaftet. Das gilt in noch stärkerem Maße für SMS. Die meisten Schüler sind damit vertraut, sich kurze persönliche Botschaften per SMS zu schicken. Diese Vertrautheit kann man hervorragend nutzen, um gegenseitiges persönliches Feedback, das zunächst zum Teil noch im geschützten, quasi anonymen Raum stattfindet, zu trainieren. Für diesen Zweck können Handys im Unterricht ausdrücklich erlaubt werden – aber natürlich nur dafür! 

Im Buch geht es weiter: 

 

.... unter anderem zu folgenden Themen:
 

  • Kriterien für Feedback

  • Wie kann man Feedback geben

  • Konsequenzen und Erfolgskontrolle

 

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